Schon bald ist die Hälfte meiner Zeit hier in Kambodscha vorbei. Ich blicke bereits auf viele Erlebnisse und wunderbare Erfahrungen zurück und kann sagen, dass ich hier so richtig angekommen bin. Ich habe meine Terrasse begrünt und meine vier Wände schön eingerichtet. Und zu meinem Erstaunen habe ich mich von einer Nachteule zum Morgenmenschen entwickelt. Die Arbeit macht mir sehr viel spass und an die lange Mittagspause mit Mittagsschlaf habe ich mich auch gewöhnt. Die Gelassenheit der Kambodschaner und das warme Klima entspricht mir gut. Mittlerweile kenne ich nicht nur die Mitarbeiter von Smiling Gecko etwas besser, sondern auch einige Dorfbewohner. Auf der Strasse grüsst man sich noch mit einem herzlichen Lachen, etwas das in der Schweiz leider vielerorts verloren gegangen ist. Ich geniesse die Ruhe hier auf dem Land und die kleinen Ausflüge in meiner Freizeit. Hier sein zu dürfen, ist ein Privileg, für welches ich jeden Tag sehr dankbar bin.
Um einen besseren Einblick in das Leben einer kambodschanischen Person zu erlangen, habe ich mit meiner Kollegin Sreymom ein Interview durchgeführt. Seit 4 Jahren arbeitet sie bei Smiling Gecko, hat die Fischzucht mitaufgebaut und einen Grossteil der Entwicklung des Projektes miterlebt.
Stand des Projekts
Während meiner Zeit hier in Kambodscha absolviere ich nicht nur das Praktikum in der internationalen Zusammenarbeit, sondern auch meine Bachelorarbeit. Aufgrund verschiedener Komplikationen im Projekt, über welches ich meine Bachelorarbeit schreibe, musste ich meinen Fokus in den letzten Wochen etwas vom Wasserlinsenprojekt hin zum Bachelorarbeitsprojekt verschieben. Deshalb konnte ich nicht alle meine erwünschten Fortschritte erzielen. Zudem hat sich der Rahmen für mein Wasserlinsenprojekt vergrössert. Denn aufgrund der unzureichenden Bedingungen des Teichwassers für die Zucht der Wasserlinsen muss nun eine komplett neue Infrastruktur geplant und aufgebaut werden. Den Bau der „Anlage“ für die Wasserlinsen konnten wir bisher noch nicht vollenden.
Nichtsdestotrotz ist es mir gelungen, doch kleinere Fortschritte zu tätigen und einige wichtige Entscheidungen zu treffen, um das Projekt voranzubringen. Teil davon war der Besuch einer „renommierten“ Wasserlinsenfarm, im 6 Autostunden entfernten Kompong Thom, welche unter anderem auch Wolffia anbaut, woran Smiling Gecko interessiert ist. Das Ziel des Besuches der Farm war, Einblicke in ihre Bewirtschaftungsmethoden zu gewinnen, aber auch bereits Wasserlinsen zu kaufen.
Noch vor unserem Besuch habe ich mit Baury den Bau von zwei kleineren Becken geplant, um die eingekauften Wasserlinsen darin aussetzen zu können. Die Idee zum Design habe ich während eines Besuches bei einer kambodschanischen Bauernfamilie erhalten. Diese hatten ein solches Becken zur Kultivierung von Hyazinthen und Fröschen gebaut. Ausgerüstet mit Bohrmaschine, Schrauben, viel Enthusiasmus und wenig Erfahrung, haben wir uns an die Arbeit gemacht. Zum Bau haben wir Abfallholz aus der Schreinerei verwendet. Obwohl es sich Baury anfangs nicht zugetraut hat, hat sie nach kurzer Instruktion ihre eigenen Löcher gebohrt und Schrauben versenkt, was mich sehr erfreut hat. Die Arbeit mit ihr verläuft gut und stösst höchstens aufgrund der Sprachbarriere teils an ihre Grenzen. Mir ist aufgefallen, dass die Kambodschaner nicht mitteilen, wenn sie etwas nicht verstehen. Das macht die Verständigung herausfordernd, da immer mithilfe von Rückfragen überprüft werden muss, ob die Nachricht „richtig“ angekommen ist.
Nach einem Nachmittag stand unsere Konstruktion und wir konnten mit einer Teichblache das Becken auskleiden. Es umfasst ein Volumen von rund 500 l. Analog zu unserem Becken haben uns die Angestellten der Aquakultur dann noch ein zweites, doppelt so grosses 1000 l Becken hinzugebaut.
Um dem Wasser die benötigten Nährstoffe zuzuführen, habe ich mich in einem nächsten Schritt um den Dünger gekümmert. Literaturrecherchen haben ergeben, dass sich Schweinedünger anscheinend am besten auf die Wasserlinsen auswirke. Daraufhin habe ich mich mit dem Leiter der Schweinezucht in Kontakt gesetzt, welcher mir dann den benötigten Schweinemist zur Verfügung gestellt hat. Die Zusammenarbeit mit anderen Departements funktioniert gut, sobald man die richtige Kontaktperson ausfindig hat machen können. Dies ist teils etwas mühsam, denn Smiling Gecko ist mit fast 250 Mitarbeitenden relativ gross.
Anhand von Richtwerten aus der Literatur zum Nährstoffgehalt von Schweinemist habe ich die benötigte Menge kalkuliert, um einen Stickstoffgehalt von 20-30 mg/l im Teich zu erreichen. Anschliessend haben Baury und ich fleissig über 10 kg Schweinemist verdünnt und in die Becken gemischt. Wir waren beide sehr froh, um eine Dusche nach dieser Prozedur.
Besuch der Farm
Vor vier Wochen bin ich dann mit den Leiterinnen meines Departements Sreymom und Theary sowie einem Fahrer zur Wasserlinsenfarm nach Kompong Thom gereist. Dort angekommen wurde schnell ersichtlich, dass sich ihre Hauptproduktion nicht aus Wolffia sondern aus Azolla, einem Wasserfarn, zusammensetzt. Sie produzierten Wolffia lediglich auf einer kleinen Fläche von ein paar Quadratmetern. Diese Erkenntnis war für mich einen kurzen Moment etwas frustrierend, dennoch war der Einblick in die Farm aufschlussreich und interessant.
Die Farmer erklärten uns, dass Azolla als Tierfutter bekannter und deshalb beliebter sei als Wolffia. Zudem brauche Wolffia mehr Nährstoffe und sei schwieriger zu kultivieren als der Wasserfarn Azolla. Zur Versorgung der Pflanzen mit Nährstoffen greift die Farm auf Handelsdünger zurück, welchen sie selber vertreiben. Dies vor allem mit der Begründung, dass die Becken viel einfacher gereinigt werden können und kein unangenehmer Geruch entstehe. Zudem benutzen sie Insektizide, um gegen Larven und Schnecken anzukämpfen.
Ich entscheide mich Azolla in mein Projekt mit aufzunehmen und kaufe den Farmern 3 kg Wolffia sowie 2 kg Azolla ab. Auf den Kauf von Handelsdünger oder Pestizide verzichte ich, da es mir wichtig ist, eine umweltfreundliche und ressourcenschonende Produktionsweise zu fördern.
Zurück bei Smiling Gecko habe ich die meine Wolffia und Azolla in meine Becken ausgesetzt.
Meeting mit Timo Stadtlander
Da ich in der Literatur nicht genügend Antworten auf meine brennenden Fragen bezüglich verschiedener Aspekte der Wasserlinsenproduktion fand, entschied ich mich dazu, einen Experten zu kontaktieren. Noch am gleichen Tag bekam ich eine Antwort und das Datum für ein Videomeeting war gesetzt. Timo Stadtlander arbeitet beim Forschungsinstitut für biologische Landwirtschaft und hat sich für seine Doktorarbeit in Vietnam intensiv mit Wasserlinsen auseinandergesetzt. Mir war unter anderem wichtig, herauszufinden, wie es sich mit der Biosicherheit verhält, wenn ich tierische Dünger zur Nährstoffversorgung der Wasserpflanze benütze. Es war ein sehr spannendes und aufschlussreiches Meeting, welches mir bei wichtigen Entscheidungen für die Fortführung des Projektes weiterhalf. Er konnte mir bestätigen, dass es absolut Sinn macht, die Nährstoffkreise schliessen zu wollen. Nach seiner Empfehlung werde ich nun aber aus Gründen der Biosicherheit auf Kuhmist wechseln, da die Überlappung mit Humanpathogenen kleiner ist als bei Schweinen. Auch hat er meine Vermutung bestärkt, dass die Wasserlinsen im Teichwasser aufgrund von unzureichendem Nährstoffgehalt eingegangen sind.
Weiterführung des Projekts
Inspiriert von der Konstruktion der Wasserlinsenfarm in Kompong Thom, werde ich die Becken auch aus Bambus und Holz konstruieren. Nach einigen Überarbeitungen steht nun der Plan für die Anlage.
Das Holz, welches ich hier in der Umgebung kaufen könnte, entspricht nicht vollends meinen Vorstellungen. Deshalb habe ich mich dazu entschieden, die Konstruktion mit Holz, welches auf dem Smiling Gecko Gelände wächst, zu realisieren. Dafür bin ich bereits im Eukalyptuswald Stämme fällen und sammeln gegangen. Zudem konnte ich auch Bambus ergattern. In den nächsten Tagen werde ich das Holz in die benötigten Grössen zuschneiden und mit der Konstruktion beginnen. Sobald die Becken stehen, werde ich mit der Produktion der Wasserlinsen im grösseren Massstab beginnen. Ich kann mir vorstellen, dass ich auf einige Probleme treffen werde. Denn die Wasserlinsen, welche sich in den bereits konstruierten Becken befinden, werden gerade von Schnecken und Larven weggefressen. Es wird sich zeigen, inwiefern die Produktion biologisch realisierbar sein wird.
Das Ziel ist es, die Performance der drei Arten zu vergleichen und sie den Fischen in einem Versuch zu verfüttern. Es steht noch einiges vor mir, doch mir bleiben glücklicherweise noch etwas mehr als drei Monate dafür.
Hätte ich ein ganzes Jahr, was würde ich noch in Angriff nehmen?
Die meisten Studenten absolvieren das IZA in einem Zeitrahmen von drei Monaten. Ich bin gerade ziemlich froh, dass ich sechs Monate zur Umsetzung meiner Projekte habe, denn es geht hier alles etwas langsamer voran, als es wir uns in der Schweiz gewöhnt sind. Und trotzdem hätte ich manchmal gerne noch mehr Zeit, um wirklich nachhaltig etwas umsetzen zu können. Wäre ich ein ganzes Jahr hier würde ich mich weiter mit dem Projekt meiner Bachelorarbeit befassen. In meinen Augen wäre es sehr sinnvoll, weitere Frauen in das „Women in Aquaculture“ Projekt zu integrieren. Einerseits, um die Ernährungssicherheit in der Region weiter zu verbessern und andererseits auch, um die Frauen dieser Region davor zu bewahren, in den Textilfabriken arbeiten zu gehen. Ich bin immer wieder schockiert, wenn ich mich früh morgens oder spät abends an einer Hauptstrasse befinde. Tausende von Frauen warten am Strassenrand auf ihren Transport. Und dieser hat es in sich. Mit grossen Lastwägen werden die Frauen in die Fabriken gebracht. Vergleichbar mit einem Viehtransport verbringen sie die Fahrt stehend, zu hunderten zusammengepfercht, auf einem Lastwagen ohne Überdachung oder Sicherheitsvorkehrungen. In den Fabriken sind die Arbeitsbedingungen prekär. Gearbeitet wird sieben Tage die Woche. Erscheint man nicht zur Arbeit, verdient man kein Geld. Ich wünsche mir, dass jeder der meinen Blog liest, bei seiner nächsten Shoppingtour über die Situation dieser Frauen hier nachdenkt. In meinen Augen tragen wir, in den „entwickelten Ländern“, eine Mitverantwortung, die Ausbeutung dieser Frauen nicht zu unterstützen. Dies können wir tun, indem wir auf „Fastfashion“ verzichten und uns besser damit auseinandersetzen, was wir kaufen und tragen.
Ein Thema, das mich hier auch sehr beschäftigt, ist das Problem mit dem Plastik. Einweg Plastikverpackungen werden einfach ÜBERALL und für ALLES verwendet. Und der Plastikmüll, der türmt sich an jeder erdenkbaren Ecke auf. Um ein Beispiel zu nennen. An einem Wochenende war ich für einen Ausflug mit einigen Kollegen/innen an einem Wasserfall im wunderschönen tropischen Regenwald grillieren. Dort hatte es einige Unterstände, welche von einem Platzwart betrieben wurden. Dieser hat uns einen Abfallsack zur Verfügung gestellt, in dem wir all unseren Müll gesammelt haben. Am Ende des Tages haben wir den Müllsack mitgenommen und den Platz sauber hinterlassen. Bevor wir jedoch den Ort verlassen konnten, hat uns der Platzwart den Müllsack zur Entsorgung abgenommen. Zufrieden und erfüllt von diesem wunderbaren Tag sind wir losgelaufen. Ca. 50 m weiter unten erblickte ich rechts vom Weg eine Schlucht, welche von Abfall verwüstet war. Mein Blick wanderte schockiert bis ans Ende dieser Schlucht. Dort stand der Platzwart, welcher gerade dabei war, unseren Müllsack hinunterzukippen.
Dieser Umgang mit der Natur schmerzt mich zutiefst. Plastik existiert hier erst seit 20 Jahren und es ist einfach alles voll damit. Die Menschen sind auf die Problematik hier noch nicht sensibilisiert und ich spüre ein Verlangen, etwas dagegen tun zu wollen.
Die Zukunft Kambodschas
Seit 1993 ist Kambodscha eine konstitutionelle Monarchie mit einem demokratischen Mehrparteiensystem. Und trotz diesem demokratischen Mehrparteiensystem wird das Land seit 33 Jahren von Premierminister Hun Sen angeführt. Kritik an der Regierung darf nicht öffentlich ausgeübt werden und oppositionelle Stimmen werden unterdrückt.
Geprägt wird das Land seit einiger Zeit vom wachsenden Einfluss Chinas. Es werden enge Beziehungen gepflegt, wovon in meinen Augen die kambodschanische Bevölkerung nur wenig profitiert. Es werden vermehrt Landkonzessionen an chinesische Unternehmen verteilt, was dazu führt, dass viele Menschen von ihrem eigenen Land enteignet und zwangsumgesiedelt werden. Dort entstehen Milliardenschwere Grossprojekte von chinesischen Investoren. Die Gewinne werden dann zu einem Grossteil von China selbst ausgeschöpft.
Ich kann mir gut vorstellen, dass auch in 10 Jahren noch Hun Sen das Land anführen und sich die Beziehung zu China sehr wahrscheinlich weiter intensivieren wird. Das Geld des wirtschaftlichen Wachstums würde weiter in die Hände der Reichen, vor allem ausländischen Investoren, fliessen.
In 10 Jahren werden auch die Auswirkungen des Klimawandels noch stärker spürbar sein. Darunter wird die bereits unter Armut leidende Bevölkerung stark betroffen sein. Ernteausfälle, aufgrund von Dürren und anderen Wetterextremen, werden die Unter- und Mittelschicht in Not bringen. Preise für Nahrungsmittel werden zunehmen und die Abhängigkeit von China weiter steigen.
Wenn man bedenkt, dass Kambodscha eines der Länder mit den meisten Hilfswerken der Welt ist und viele davon seit Ende der Zeit der Roten Khmer aktiv sind, das Land aber trotzdem noch eine so hohe Armutsrate aufweist, denke ich nicht, dass diese Hilfswerke in den nächsten 10 Jahren dem Land wirklich nachhaltig zur Veränderung der bestehenden Strukturen verhelfen können. Ich hoffe jedoch, dass trotz meiner eher negativen Prognose positive Entwicklungen stattfinden werden, indem heute mehr Kinder eine schulische Grundbildung bekommen und das Land dadurch in eine bessere Zukunft schauen kann.
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